Montag, 21. November 2016

Paulas Protokoll

Donnerstag

Zwei Uhr sechsunddreißig
Dein Schnarchen klingt fremd. Es gehört nicht zu mir. Gedankenstriche malen ein Bild an die Wand. Schmatzend ziehst du die Luft ein. Meine Finger werden ein Ballungsgebiet.

Acht Uhr einundzwanzig
Paula, sagst du und versuchst sanft zu klingen. Du bist so unendlich bemüht. Manchmal. Deine Stimme ist wie Schleifpapier Stärke vier. Bearbeitet mich wie ein rohes Stück Holz.
Aufstehen. Du rüttelst an meiner Schulter. Seegang in mir.
Ja, sage ich durch geschlossene Lippen.

Neun Uhr fünfundvierzig
Was für ein Tag ist heute, frage ich. 
Donnerstag, antwortest du. Die Buchstaben der Morgenzeitung kleben zwischen deinen Zähnen. 
Gedruckte Schwärze.
Fühlt sich an wie Freitag. Es ist eine Feststellung.
Heute ist Donnerstag. 
Du bist so randvoll mit besser gewusstem. Milchkaffee läuft über den Tisch.

Zehn Uhr siebzehn
Ich gehe dann jetzt, sagst du. 
Die Morgenzeitung nimmt deinen Platz ein. Du küsst meine Stirn.
Zement in mir.

Zehn Uhr neunzehn
Du stehst an der Tür.
Paula, sagst du. 
Ich höre nichts. Gedruckte Schwärze verschließt meine Ohren.
Schmatzend ziehst du die Luft ein. Gewitter in mir.
Das Türschloss fällt.

Dreizehn Uhr drei
Das Telefon klingelt. 
Ich versuche zu denken, schreie ich den Apparat an und hebe nicht ab.

Dreizehn Uhr vier
Die rote Lampe brennt ein Loch in die Mittagsruhe. Ich stehe auf einem Bein und bin müde.
Ich bin's, schnarrst du mir entgegen. Wo bist du denn?
Die Frage ist unverschämt und geht ins Leere.
Ich springe auf dem linken Bein auf und ab. Gleichgewichtsstörung in mir.
Ich bringe was vom Chinesen mit, sagst du und legst auf.

Siebzehn Uhr elf
In ca. siebenundvierzig Minuten wirst du zurück sein. In deiner Hand eine Tüte mit lauwarmen Frühlingsrollen, die ich nicht will.
Draußen ist Winter. Brennnesseln in mir.

Samstag

Zwölf Uhr
Ich habe einen Tag verloren. Unter dem Bett ist er nicht. Ich habe nachgesehen. Außer einer Burg aus Staub ist da Nichts.
Kommst du, willst du rhetorisch wissen. 
Ich brauche ein zweites Leben, ein anderes Ich, denke ich schweigend und folge dir zum Auto.

Zwölf Uhr einundfünfzig
Du stehst im Vorgarten. Hinter einem knochigen Buchsbaum lugt ein Gartenzwerg hervor. Er raucht Pfeife, du eine Zigarette. 
Das Haus ist inbegriffene Spießigkeit. Der Zaun ist weiß. Deine Eltern wohnen hier. 
Würgereiz in mir.

Dreizehn Uhr neun
Wollt ihr nicht endlich reinkommen, ruft deine Mutter durch den Türspalt. 
Du nimmst meine Hand. Der Braten liegt in einer schweren Soße auf dem Tisch.
Den Kartoffeln fallen verkochte Augen zu.
Vorsichtig platziere ich die mintgrüne Serviette auf meinem Teller.
Stell dich nicht so an, sagst du und legst das mintgrüne Stück Stoff auf meinen Schoss.
Sturm in mir.

Dreizehn Uhr zweiunddreißig
Schmeckt dir der Braten nicht, Kind, fragt deine Mutter. Der Blick dringt durch die goldumrandete Brille.
Deine Mutter kennt meinen Namen nicht. Nach fünf Jahren nennt sie mich immer noch Kind, schreie ich dich stumm an.
Ich bin Vegetarierin, Hilde, sage ich laut. 
Bist du nicht. Stell dich nicht so an, schnaubst du und ziehst schmatzend fasriges Fleisch durch deinen Kiefer.
Steinschläge in mir.

Vierundzwanzig Uhr fünf
Deine Hand liegt abstrakt auf meiner Hüfte. Ich atme nicht.
Schläfst du, flüstert dein Mund. Ich denke an die Burg aus Staub unter dem Bett. 
Die abstrakte Hand bewegt sich. Ich friere ein.
Ich verstehe dich nicht, seufzt du schmatzend. 
Ja, denke ich.
Schwere Bratensoße in mir.

Mittwoch

Sieben Uhr
Das Geschirr vom Vortag ist ein Berg. Wasser spült meine Unterarme.
Paula, fragst du. Angst zuckt in deinen Hausschuhen.
Drahtseilakt in mir.

Vierzehn Uhr acht
Auf dem Bildschirm tanzt ein Muster.
Du stehst in der Tür. Die Krawatte hast du zu eng gebunden. 
Mein Kopf lehnt am Fenster. Draußen verweht Schnee.
Wo bist du, fragst du.
Ich ziehe am Vorhang.
Weg, sage ich.

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