Mittwoch, 2. Februar 2022

Zwischen Lavendel und Schneeglöckchen

 In dieser unbestimmten Woche entschied sich der Mond an jedem untergehenden Tag zwischen Stromleitungen zu balancieren. Durchaus möglich, dass ihm daran gelegen war mit dem Raben, der sich zwei Querstraßen weiter nach einem Platz zum Verweilen umsah, einen Wettlauf auszutragen. Den Raben hätten die sichelförmigen Ambitionen des Mondes nicht weniger kümmern können. Zu sehr darum bemüht, ja geradezu versunken, war er in sein Vorhaben unbedingt zu ruhen. Breite Schwingen glänzenden Gefieders schnitten den Luftstrom unterhalb der Federn in handliche, wenn auch nur für ein sehr geschultes Auge sichtbare, Quadrate. In den Fugen des Kopfsteinpflasters derselben Querstraße krabbelten Ameisen geschäftig dem Ende eines Tagewerks entgegen. Und im dritten Stock eines grün getünchten Hauses, das zwischen den geklinkerten Fassaden benachbarten Zwillingsbauten außerordentlich aus der Reihe tanzte, auf halber Treppe aßen bisher von jeglichen Kammerjägern unentdeckt gebliebenen Mäuse friedlich wie spät zu Abend. Es war eine dieser unbestimmten Wochen, deren Tage Wunder bereit halten und sich auf den unverschmutzen Park- und Wiesenflächen zwischen vorwitzig gewachsenen Grashalmen, Lavendel und Schneeglöckchen taktvoll in einer Herbstbrise wiegen. Der Mond inzwischen besieht sich die kleine Szenerie balancierend aus der Höhe. Welch ein Glück, dass der Rabe nicht hätte um die Wette fliegen wollen. 


Donnerstag, 19. September 2019

Begegnungen

Wir sitzen auf einer Bank, das Holz ist noch ein bisschen klamm, weil es gestern Nacht geregnet hat.
Seit in paar Minuten malt er mit dem linken Fuß Kreise in den Staub. Und schweigt. 
Die Haut seiner zittrigen Hände ist rissig, im Gesicht klafft ein fünf Zentimeter langer Riss, nur knapp über dem rechten Auge. Die Fingernägel sind zu lang und sammeln den Schmutz als gäbe es sonst nichts weiter für sie zu tun. 
Die Knie sind aufgeschürft, die Hose passt ihm nicht richtig. Doch, doch hatte er gesagt, ich gehe alle zwei Tage ins Krankenhaus, um die Verbände wechseln zu lassen.
Nein, es ginge schon, zum Glück sei er die Krücken los, lehnte er die dargebotene Hand ab, als er sich zu setzen versuchte.
Nicht unweit raufen zwei Jugendliche miteinander, werfen sich erst Beschimpfungen und dann Kieselsteine an den Kopf. 
Vorübereilende sehen ihn nicht an und schütteln mit einem Blick auf mich ihr Haupt.
Wir sind ein ungleiches Paar. 
Er sei gefallen, daher die Verletzungen. Die Bordsteinkante sei ihm im Weg gewesen. 
Das Allein sein bekommt ihm nicht. Jemand stellt ihm wortlos eine leere Pfandflasche vor die Füße. 
Eine Flasche für die Flasche tönt es von der anderen Straßenseite. Ich will aufspringen, er aber sagt Lass nur, das lohnt sich nicht. Und schluckt hart.
Dieses Mal bleibe ich also sitzen. Und der Zorn kocht meine Eingeweide.
Es war nicht immer so. sagt er. 
Das Leben sei normal gewesen, irgendwann. Arbeit, Wohnung, Frau, Pläne, Träume. Ein ganz normales Leben. Er habe sich nicht viel leisten können, aber darauf sei es ihm nie angekommen. 
Das Holz trocknet langsam. Die Feuchtigkeit hat es sich im Gewebe bequem gemacht.
Den Schlafsack habe man ihm geklaut, schon wieder. Auch den Rucksack. Drehst Dich einmal um, gehst nur kurz um die Ecke und schon alles weg. Seine Schultern zucken.
Er hat sich abgefunden. Was bliebe ihm denn auch sonst übrig? 
Das Allein sein bekommt ihm nicht. Jemand wirft wortlos ein paar Cent  in den Becher zu seiner Linken. 
Für einen Gruß reicht es nicht.
Gespräche sind teuer. Sie kosten Zeit und Überwindung. Er weiß das. Ein halbes Jahrzehnt lebt er diese Existenz. 
Ich bin der Rand der Gesellschaft sagt er über sich selbst. Die Stimme bricht. Schweigen fällt ihm leichter. Dabei lacht er gerne. Und hat Humor. Nein, getrunken habe er heute noch nichts. 
Er trägt zwei Jacken übereinander. 32 Grad und kaum Wind. 
Wasser und vielleicht ein Bier? Er habe eine neue Regel sagt er. Morgens keinen Alkohol mehr. 
Er ist freundlich. Und demütig. So sehr, dass es schmerzt. 
14 Jahre Knast. Alles würde er anders machen, hätte er nur die Gelegenheit. Eine Zeitmaschine.
Im Reflex schlug er zu. Der andere habe ein Messer in der Hand gehalten. Sei auf ihn los gegangen. 
Sein Schlag traf den Kehlkopf. Mord. So befand das Gericht.
Er sei auf der Straße seines Lebens falsch abgebogen. Am liebsten liest er Kriminalromane. Die skandinavischen. Deutsche können keine Krimis, guck Dir doch den Tatort an. Sagt er.
Wenn sich das Grinsen in seinem Gesicht breit macht, ziehen sich die Falten um seine Augen zusammen.
Neulich habe er Streit gehabt. Am Pfandautomaten. Die Mitarbeiter des Marktes jagten ihn zur Tür hinaus. 
Weil sich normale Menschen belästigt gefühlt hätten. Nicht Kunden, Menschen. So habe es der Mitarbeiter, der ihn an der Schulter zum Ausgang schob, formuliert. 
Er sei eigentlich immer im Weg. Ein Störfaktor. Da sei es schwer an der eigenen Menschlichkeit festzuhalten.
Der Zorn kocht meine Eingeweide.
Seit ein paar Minuten malt er mit dem linken Fuß Kreise in den Staub. Und schweigt.
Das Allein sein bekommt ihm nicht.
Bis vor ein paar Monaten waren sie zu zweit. Immerhin. Da kann man aufeinander Acht geben. Und die Stille sei leichter zu ertragen. Sie waren Freunde. Aber die Leber seines Freundes hat den Alkohol nicht mehr vertragen. 
Der Freund fehlt ihm. Er möchte niemandem lästigfallen. Mädchen, du musst hier nicht sitzen. Sagt er. 
Und doch, ich bleibe noch ein Weilchen. 
Er liebt den Hafen. Das Wasser habe so eine beruhigende Wirkung und die weit gereisten Containerschiffe versprächen Abenteuer.
Sein Vater sei Säufer gewesen. Sagt er. Prügel standen auf der Tagesordnung. Er spricht leise. Ohne jede Wut.
Lass den Penner doch. Die Worte prallen an der nächsten Hauswand zurück. 
Einfach nur obdachlos sei er, aber kein Penner. Ein Mensch, der keiner sein darf. 
Unsere Begegnungen enden stets auf die gleiche Weise. 
Gib auf Dich Acht. Sage ich. Und er erwidert schlicht: Danke.
Seit ein paar Minuten malt er mit dem linken Fuß Kreise in den Staub. 
Das Allein sein bekommt ihm nicht.

Dienstag, 13. März 2018

Jakobs Ketten

Trotz der klaren Luft, die Herbstsonne und Winterwinde vor sich hertreibt, schmeckt der Weg nach Verwesung. Das Tauwasser spiegelt sich trüb selbst. Eine giftige Brühe, die sehnsüchtig auf den nächsten Frost wartet, der so sicher ausbleiben wird wie das Amen in der Kirche, auf deren Holzbänken klimawandelnde Sünder sitzen. Mitten auf der einzigen Straße, die diesen Namen verdient, blutet ein toter Hase auf den feuchten Asphalt. 

Jakob steht seit Stunden am Fenster, starrt durch sein schmutziges Spiegelbild auf die rostroten Flecken da auf dem Asphalt. Den Hasen sieht er schon lange nicht mehr. Die nackten Füße sind taub und durch die häusliche Stille tönen laut seine Gedanken, unterbrochen von dem Klirren der Eisenglieder um seinen linken Knöchel. Unter dem Eisenring hat sich längst Schorf gebildet über der Wunde, die vom zu heftigen Zerren herrührt. Jakobs Erinnerung versagt ihm den Dienst. Seit wann das kalte Eisen um seinen linken Fuß liegt, vermag er nicht zu sagen. Jakob darf nicht am Fenster stehen. Eines der vielen Gebote, denen er Folge zu leisten hat, besagt in strenger Deutlichkeit, niemand darf ihn sehen. Auf der Straße tanzen die rostroten Flecken. Jakob versucht den Blick zu schärfen, kneift das rechte Auge zusammen, die verdreckte Fensterscheibe ist ihm im Weg. Wäre seine Kette nur um ein oder zwei Glieder länger, er könnte sie erreichen, einwerfen wohlmöglich. Und dann? Durch die Scherben würde er steigen, nach draußen. Ob er sich die nackten Füße an dem gebrochenen Glas aufschnitte, würde er nicht merken. Rostrote Flecken würde er zurück lassen auf dem feuchten Asphalt, gleich neben dem toten Hasen. 
Aber die Glieder der Kette reichen nicht weit genug. Die Freiheit ist mehr als nur eine Armeslänge entfernt. Jakob weiß das, obwohl er sich den Gedanken an Freiheit nur noch selten erlaubt. Seine Erinnerung versagt ihm den Dienst. Wann er das letzte Mal frei war, vermag er nicht zu sagen. Die häusliche Stille scheint ihn seit einer Ewigkeit zu begleiten, so wie der gekreuzigte Heiland an allen vier Wänden des Raumes seit einer ununterbrochenen Ewigkeit hängt. Manchmal fühlt Jakob die Blicke des holzgeschnitzten Gesichts. Sie folgen ihm von Wand zu Wand, mahnen ihn, sich nicht sehen zu lassen. 
Während der Asphalt langsam in der kalten Sonne trocknet, rauscht ein Wagen über den toten Hasen hinweg. Jakob zuckt zusammen, die Kettenglieder spannen sich. Ein stechender Schmerz fährt ihm durch den Knöchel bis unter die Kopfhaut, als die Haustür zufällt.
Schnell rafft Jakob die Kette, so leise wie sich Eisenketten eben raffen lassen, schleicht in gebückter Haltung in die Ecke des Raumes, die am weitesten von der schmutzigen Scheibe entfernt ist. Jakob betet, sie möge seinen Schatten nicht gesehen, die Bewegungen nicht gehört haben, als er auf der modrigen Matratze die Arme um spitze Knie schlingt.
Der Schlüssel dreht sich im Schloss der Haustür. Sie schließt immer ab. Zweieinhalb Umdrehungen lässt sie den Schlüssel machen, um sicherzugehen. Der Junge kann nicht aus seinem Zimmer fliehen. Sie weiß das. Dennoch will sie sichergehen. Auch Eisen kann brechen. Und sie sieht den Augen des Jungen, dass er noch manches Mal an das Fliehen denkt. Sie hat sich vorgenommen, ihn für diese Gedanken zu bestrafen. Er muss lernen zu gehorchen. Kinder müssen gehorchen. Sie hat es gemusst, der Junge muss es lernen. Mit festen Schritten geht sie durch den Flur. Auf der anderen Seite der Wand zuckt Jakob zusammen. Sie wirft ihren Mantel über einen alten Stuhl, der seit sie das Haus bezogen hat, im Weg steht. Sie kann sich nicht davon trennen. Jakob hört wie der Mantel sich unsanft über die Lehne legt. Die Metallknöpfe hinterlassen Kerben in dem weichen Holz. Jakob weiß, sie wird in die Küche gehen, bevor sich die Tür zu seiner Kammer öffnet. Jakob beginnt zu zählen. Es ist ein Ritual. Die Tür eines Küchenschranks klappt; eins, zwei, drei. Das Glas schlägt hart auf der Anrichte auf; vier, fünf, sechs. Der Kühlschrank summt; sieben, acht, neun. Sie schenkt sich ein; zehn, elf, zwölf. Jakobs Handflächen sind feucht, seine Kehle trocken.

Wieder feste Schritte im Flur; dreizehn, vierzehn, fünfzehn. Der Schlüssel fährt ungeduldig in das Schloss der Tür. Ein dünner Lichtstrahl, der nicht als Hoffnungsschimmer taugen will, fällt in das dunkle Zimmer. Nur für einen kurzen Moment, bevor sich die Tür hinter ihr schließt. Sie mustert Jakob in seiner Haltung. Er weiß, er sollte die Arme von den spitzen Knien lösen. Er sollte sich aufrichten, sie begrüßen. Er weiß, tut er es nicht, wird sie ihn bestrafen, und ist doch unfähig eine einzige Bewegung auszuführen. Sein Körper ist starr, will ihm nicht gehorchen. Sechzehn, siebzehn, achtzehn. Der Stock kracht gegen seine Rippen. Jakob weiß, es werden weitere Schläge folgen, so lange bis er sich mühsam aufrappelt. Es ist ein Ritual, festgeschrieben seit Anbeginn seines Lebens in diesem Haus. Sie betritt sein Zimmer nie ohne den Stock. Jakob spürt den Schmerz der Schläge an manchen Tagen kaum noch. An anderen Tagen treffen sie ihn wuchtig. Sie spricht nicht ein Wort. Aus gefrorenen Augen sieht sie auf das ungehorsame Elend zu ihren Füßen hinab. Würde der Junge nur ein einziges Mal tun, was sie von ihm erwartet. Sie müsste ihn nicht schlagen, denn sie tut es wahrlich nicht gern. Der Junge versteht das nicht. Blickt sie an, mit diesen aufmüpfigen Augen, die nach Freiheit schreien. Heute hat er nicht einmal den Respekt, unter ihren Schlägen zusammen zu zucken. Sie holt erneut aus. Ihre Hand greift den Stock fester. Würde der Junge doch endlich aufstehen, sich rühren. Sie könnte aufhören. Jakob versucht nicht, sich zu schützen. Sie wird irgendwann damit aufhören. Das tut sie immer, irgendwann. Dann geht sie. Stunden später wird sie ihm etwas zu essen und die Bibel bringen. Jakob darf die Bibel nicht behalten. Sie verlangt, dass er darin liest. Genau eine Stunde, während des Essens. Sie wird ihn mit diesen gefrorenen Augen ansehen. Es ist ein Ritual. Wie das Zählen. 

Als Jakob sich erhebt, langsam und gebückt, trifft ihn ein letzter Schlag auf den Rücken. Seine Kiefermuskeln verspannen sich, damit der Schrei nicht in die muffige Zimmerluft entweicht. Jakob weiß, dass er nicht schreien darf. Sie wird wütend, wenn er schreit. Endlich. Sie stellt den Stock an die Wand. Sie ist kleiner als Jakob. Hätte er den Mut, er könnte sie überwältigen. Die Glieder seiner Kette reichen. Jakob ist nicht mutig. 

Sonntag, 4. März 2018

Carlotta

Sie trägt einen Bassschlüssel hinter dem linken Ohr, der nur dann sichtbar wird, wenn sie die Haare zu einem Zopf bindet oder sich auf den Kopf stellt. Dann aber ist es weniger ein Bassschlüssel als mehr ein Paddel. 
"Die Welt ist ein Boot." sagt Carlotta. "Es ist immer gut, ein Paddel dabei zu haben."

Carlotta wäre gerne in einer Kleinstadt aufgewachsen und nicht zwischen den Betonschluchten, in denen der Wind so vorwitzig an Röcken und Mänteln zieht, die einer Großstadt ein beliebiges Gesicht geben.
"Es ist eben ein Hochhaus. Kein Plattenbau. Nur hoch." sagt Carlotta und nickt einem Mann, ausstaffiert mit Sandalen, aber sockenlos, über die Straße hinweg zu.
"Das ist Ede. Der wohnt hier schon mein ganzes Leben lang. Vielleicht sogar länger." sagt Carlotta und Ede hebt die Hand, indem er den Ellenbogen anwinkelt. 

Carlotta dreht sich ihre Zigaretten selbst. Dabei sitzt sie im Schneidersitz auf dem Vorsprung einer Mauer, balanciert auf ihren Beinen ein Buch.
"Ich habe immer mindestens ein Buch dabei. Manchmal sogar einen Roman." sagt Carlotta. 

"Wenn ich verstecken spielen möchte oder eben gerade nicht auf dem Kopf stehen kann, dann ist so ein Roman genau das Richtige." sagt Carlotta.

Das erste Mal versteckt Carlotta sich, als sie gerade Buchstaben zu Worten verbinden kann. Aus dem Wohnzimmer dringt Lärm. Gläser gehen zu Bruch. Die Stimme ihrer Mutter überschlägt sich. Nachbarn klopfen mit dem Besen gegen die Decke. 

Carlotta flieht nach Nimmerland und sieht am folgenden Morgen einem Polizeibeamten in die Augen. 
"Es gibt ja immer einen Morgen." sagt Carlotta. 
Ihre Mutter sitzt verkatert und heiser zwischen abgewetzten Kissen. Auf dem Boden liegen Scherben. 
"Hotte ist dann ausgezogen." sagt Carlotta und zuckt mit den Schultern. 

Als sie eingeschult wird, schlägt ihr ein Junge, der später in einem Gleisbett gefunden werden wird, weil ihn ein herannahender Zug erfasste, die Brille von der Nase. 
Der Junge hat Sommersprossen und grüne Augen. 
"Wie er hieß, weiß ich nicht mehr." sagt Carlotta und streicht über die Seiten der Geschichte des amerikanischen Bürgerkrieges.
Der Junge wurde gerügt und stellt drei Tage später einem anderen Kind ein Bein.

"Kontaktlinsen stehen mir nicht." sagt Carlotta und schiebt ihre Brille den Nasenrücken hinauf. Sie sitzt unmerklich schief, weil Carlotta häufig beim Lesen einschläft. Dann hinterlässt der Bügel auf der linken Seite ihres Kopfes einen Abdruck, verbiegt sich an der Form ihrer Knochen. 
"Außerdem kann ich so über den Rand hinaus sehen." sagt Carlotta, als wäre das selbstverständlich.

Das erste Mal über den Rand gesehen hat Carlotta in der fünften Klasse, als drei Mitschüler drohten sie über die Brüstung im 3. Stock des Schulgebäudes hinab fallen zu lassen. 
Carlotta blieb stumm, die beiden Jungen und das Mädchen, deren Namen Carlotta sich weigerte dem Direktor zu nennen, kamen davon. 

"Verrat liegt mir nicht." sagt Carlotta. Sie hat gelernt zu dulden. 

Als sie Max trifft, ist einer ihrer Kniestrümpfe herunter gerutscht. 
Max, der es nicht leiden kann, wird er "Mäxchen" gerufen, fragt sie:
"Bist du glücklich?" 

Sie stehen auf einem Stück Gehweg zwischen den hohen Häusern und dem bisschen Leben in einer fast vergessenen Siedlung am Rande der Stadt.
Carlotta zieht die Nase kraus. 
"Zufrieden bin ich." sagt sie. "Zufriedenheit ist das größte Glück." 
Max lacht und stört sich nicht daran, dass sie ihn Mäxchen ruft.

Das erste Mal verirrt sich seine Faust in ihre Magengrube, als sie sich ein Jahr später um eine halbe Stunde verspätet.
Eis essen hatten sie gehen wollen. Mäxchen betrat die Eisdiele zu früh, bestellte für sie beide. 
Das Eis schmolz unter der wachsenden Hitze seines Zorns.
Carlotta flieht in das Florenz der Familie Medici. 
Sie nennt ihn nicht mehr Mäxchen und verlässt ihn fünf gebrochene Rippen später.

"Es ist nicht einfach, sich aus dem Weg zu gehen. Die Siedlung ist kleiner als ein Dorf." sagt Carlotta und wischt die Tabakkrümel von ihren Beinen.

Im Kellerabteil stapeln sich Kisten. Einmal in der Woche sitzt Carlotta auf einer säuberlich zum Quadrat gefalteten Decke zwischen den Kisten. 
Zweieinhalb Stunden sitzt sie dort, studiert die Seiten des Inhaltsverzeichnisses, atmet den Staub voriger Generationen. Das Kellerabteil ist ein Ort der stillen Sicherheit. 
"Zu viel Sicherheit ist trügerisch." sagt Carlotta und verschließt die Tür mit der gebotenen Sorgfalt.

Zwischen dem Alltag und den Büchern schleicht sich der Sommer aus der Siedlung. Es regnet als Ede einen Herzinfarkt erleidet. Carlotta weint und legt ihm ein Paar Socken auf den Grabstein.
"Manche Geschichten enden traurig." sagt Carlotta und deckt sich mit Andersens Märchen zu.

Dienstag, 30. Januar 2018

Aus einem anderen Leben

Meldeadresse: Galaria Kaufhof, erstes Schaufenster links. sagt er und lacht. Ohne Humor hast Du verloren. sagt er und reibt sich die kalten Finger.
Er stammt ursprünglich aus der Gegend um Ingolstadt, lebte 15 Jahre im Nürnburger Raum auf der Straße und nun in Hamburg. 
Wenn er von den Landungsbrücken und den freundlichen Menschen der Hansestadt spricht, werden seine Augen feucht. Das sympathische Gesicht durchzogen von feinen und groben Linien, die ein bewegtes Leben nachzeichnen. 
Aus Nürnberg ist er ganz anderes gewöhnt. Aber hier, in Hamburg, da kümmern sich die Menschen. Ich nehm nur, was ich brauch. sagt er und streicht die Decke über seinen Beinen glatt.
Die Umstände, die zu seinem Leben auf der Straße führten, reißt er nur kurz an. Es ist die Geschichte einer verlorenen Liebe und von Alkohol. Ob er sich heute noch in das gutbürgerliche System einfügen kann – das weiß er nicht genau. 
Sehnsucht hat er. Das klingt leise durch. Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt er, aber sie stirbt. 
Ganz ruhig beschreibt er nächtliche Situationen. Manchmal kommen sie und urinieren auf deinen Schlafsack, wenn du da liegst und schläfst. 
Zusammenhalt auf der Straße, den gibt es. Einen Penner zu beklauen ist das Letzte. sagt er. 

*****

Sie sitzt mit gekrümmtem Rücken an eine Hauswand gelehnt. Zum Schutz vor Regen und Wind hat sie kleine Schirme um sich herum aufgespannt. 
In sich zurückgezogen spricht sie nicht viel oder gern. 
Ihre Gesichtszüge wirken nicht unfreundlich oder verhärmt, sie tragen die Verletzung nach außen.
Die meisten Menschen hasten an ihr vorbei.
In ihren Händen hält sie einen Wintermantel. 
Ist der geklaut? fragt sie und neigt den Kopf zur Seite. Nein, bestimmt nicht. 
Noch mal prüft sie das Material. Und entscheidet, den Mantel zu behalten. 
Vielleicht deutet sich ein Lächeln um die Mundwinkel an, als sie sehr leise Danke murmelt.

****

An einer Kette trägt er das A für Anarchie um den Hals. Seinen Kaffee trinkt er schwarz. 
Willst du mir was schenken? fragt er und nickt den Passanten zu. Er ist guter Laune. 
Freiwillige Entscheidung. sagt er. Er passt nicht ins System. Lieber sitzt er auf den Gehwegplatten am Bahnhof Sternschanze als in einem bürgerlichen Leben. 
Er kommt zurecht. Ist hilfsbereit und freundlich. Plaudert gerne. Die rechte Hand steckt in einer bunten selbstgestrickten Stulpe. 
Die andere habe ich leider verloren. sagt er. 

Samstag, 18. November 2017

Internet, Sex und Redewendungen

Ich habe neulich über das Internet, Sex und Redewendungen nachgedacht.

"Eine gewischt bekommen" hat früher nichts anderes gehießen, als dass von irgendwoher, meist aus der Syntetikfaser eines billigen Teppichs, ein vorwitziger Stromschlag unter die Haut fuhr.
Heute bedeutet es außerdem ein Tinderdate erwischt zu haben.

Ich finde das toll:
Alles können wir uns im Internet bestellen. Die Liebe für's Leben oder einen Kühlschrank, der technisch dazu befähigt ist, selbständig zu erkennen, wann die Mandelmilch für den ChaiLatte versiegt und vorauseilend gehorsam eine ganze Stiege ordert.
Ich stelle mir vor der Kühlschrank geht einkaufen wie Papa ante Portas: 
Mein Name ist Kühlschrank. Ich kaufe hier ein.

Bald besitzen wir alle Geräte, die unser Zuhause in eine Art riesiges Gehirn oder etwas Vergleichbares verwandeln; Geräte, die die eigenen vier Wände noch schlauer machen als es unsere Telefone und eine Brockhaus-Enzyklopädie gemeinsam je seien könnten.

Die Vorstellung von Technik, die uns das letzte bisschen Eigenverantwortung abnimmt, macht uns derart an, dass wir ohne Nachzudenken Vibratoren erfinden und kaufen, deren Spitzen mit Licht und Kamera ausgestattet sind und die eine WLAN-Schnittstelle haben. 
Über Sicherheitslücken machen wir uns keine Gedanken. 
Dass jeder in Funkreichweite die Bilder abgreifen kann, spart uns bei strategischer Nähe zu einer gynäkologischen Praxis den Arztbesuch. 
Das ist effizient und wir sind faul und haben nichts zu verbergen.

Unsere Lebensmittel wollen wir nicht eigenhändig einholen, wenn es der Kühlschrank nicht für uns tut, ordern wir vom Bett aus die nächstbeste Frischebox und liefern den Unternehmen unsere Gewohnheiten frei Datenkabel gleich mit.
Licht wird nicht mehr gedimmt, sondern von Echo-Alexa abgeschaltet. 
Dass die Geräte manchmal ohne unsere Aufforderung handeln, stört uns nicht. Der Heizungsregler, der Mozart abspielt oder die Sparcherkennung in Partylaune treffen unser Komikzentrum.

Empört haben wir uns, darunter macht es der Social-Media-trainierte Mensch ja nicht mehr, als die Zwangsfotografien für Krankenkassenkarten eingeführt wurden. Gläsern haben wir und genannt und gefühlt, als biometrische Fotografien auf Personalausweise geklebt wurden, aber unsere Telefone mit einem Lächeln und dem eigenen Fingerabdruck entsperrt. 
Neuerdings erlauben wir den vor uns auf dem Tisch liegenden Apparaten, unser Gesicht zu scannen. Der Sicherheit wegen.

Wir tindern und verbinden uns quer über den Globus, fragen Suchmaschinen um Rat - nur beim Stuhlgang, da sind wir eigen und ziehen die Tür hinter uns zu. 
Das Handy darf mit, weil wir auf dem Lokus nicht wie die 1980er-Generation altbacken in einem Uli Stein Buch schmökern möchten lieber tacken.
Ja, ich musste googlen und fand heraus: tacken ist die unheilige Allianz zwischen texten und kacken.
Seit diesem Erkenntnisgewinn denke ich über eine Wortverbindung von "Pinkeln" und "Selfie" nach.

Während wir unser Innerstes nach Außen kehren, tatsächlich wie virtuell, belächeln wir Merkels Neulandgedanken.
Dabei und in vibrierendem Licht betrachtet genau das: Neuland.
Wenig Regeln, viel Information und noch mehr Macht - denn Wissen ist Macht. 
Das Internet ist sich nicht einig, wer diesen Satz geprägt haben soll: Liebknecht oder Bacon.
Wer die Namen nicht kennt, fragt am Ende dieses Textes die Suchmaschine seines Vertrauens, denn nichts wissen macht nichts.
Zusammen ergibt das eine Kneipenweisheit, aus einer Zeit, in der Zapfhähne ausschließlich den Zweck erfüllten, Schaumkronen auf ein Hopfen-Gerste-Malz-Gemisch zu applizieren. Gott erhalt's.

Versteht mich richtig:
Ich mag das Internet. Dort verbringe ich durchschnittlich viel Zeit, überdurchschnittlich viel davon in sozialen Netzwerken oder in der bisweilen verstörenden Welt des Internets der Dinge, wo ein Buttplug (musste ich auch googlen) mit Bluetooth so normal ist wie das morgendliche Zähne putzen.
Kissen, die in pronösem Schmuserot leuchten, wenn eine stabile Internet- und Appverbindung besteht, der / die Liebste das Haupt zur Ruhe bettet, muten auf eine seltsame Art neuzeitlich romantisch an.
Aber ein Vibrator mit Licht, Kamera und WLAN? Warum? Und wie darf ich mir das Tischgespräch zwischen Wein und Käseplatte dazu vorstellen?

"Wir waren im Urlaub an der Ostsee."
"Ach, wie schön. Habt ihr denn auch Bilder mitgebracht?"
"Schlechtes Wetter, du weißt ja wie das ist. Aber bei der Übertragung der Bilder vom Vibrator auf den Laptop, stellten Wir fest, dass Marianne einen nach hinten geneigten Uterus hat."
"Nein?"
"Doch."
"Oh!"


Die Moderne in allen Ehren, aber was - abgesehen von Elefanten - war das noch, das nichts vergisst?
Ach ja, das Internet.

Ich weiß, haben ist immer besser als brauchen. Ich habe beispielsweise zwei Katzen. Deshalb brauche ich aber noch lange keinen Apparat, der die Tiere in meiner Abwesenheit unter Trockenfutter begräbt, weil die zur Steuerung der Fütterungsvorrichtung vorgesehene App Amok läuft.

Ich habe auch ein Smartphone und einen Faible für Anglizismen. Deshalb brauche ich aber keine unsichere Messenger- oder andere App, welche die mit meiner Mutter geführten Gespräche aufzeichnet. 
Schließlich ist das ein Privatanschluss und keine Servicehotline.
Und wo ich schon bei "privat" bin:
Es gibt etwas, das ich nur noch eingeschränkt habe, aber unbedingt und dringend brauche. Nicht nur beim tacken. Sondern immer.
Privatsphäre nämlich.

Die Vorstellung, dass ein Konzern den Schlüssel zu meinen Phantasien, Ängsten und Träumen und meiner Wohnung hat, gruselt mich mehr als Pennywise es je können wird - und ich weiß, niemand mag Clowns.

Der DHL-Mann, der erst nie und dann zu spät kommt, betritt ausgerechnet dann die Wohnung als die Spracherkennung meiner Wahl das Badewasser wohl temperiert hat oder meine Vibratorkamera Bilder für die Nachwelt schafft?
So ein Bild sagt schließlich mehr als tausend Worte.

Klingt nach Zukunftsdystophie? Von wegen.
Das Tool heißt Amazon Key und erlaubt sehr praktisch, dass der Paketbote die Schwelle zum Privaten übertritt. 

Wir verkaufen uns aus Bequemlichkeit aus. Jeden Tag ein bisschen mehr.
Während wir fluchen, dass uns die Konzerne maßgeschneiderte Werbung in die Postfächer und Briefkästen spülen, ziehen wir die Paybackkarte durch den dafür vorgesehenen Schlitz, storen unserer Erinnerungen in Clouds und lassen uns bei jedem Schritt zählen, vermessen, evaluieren.

Und die Moral? Wird sich jetzt vielleicht manch einer fragen.
Es gibt keine.
Nur ein Bewusstsein. Das sollten wir haben.

Donnerstag, 3. August 2017

Der Rahmen

"Mal mir ein Bild." sagt Marianne, gerade noch bevor der Wind den Wetterhahn auf dem Kirchturm dreht.

Oswald kennt Marianne schon sein ganzes Leben. Deshalb sagt er nicht, sie wisse doch, er sei kein Maler. Sie widerspräche ihm ohnehin, dessen ist sich Oswald gewiss.
Als Marianne ihr Augenlicht verliert, sind sie noch Kinder. 

Oswald flicht aus den Schilffhalmen, die sich über den schmalen Bachlauf neigen, als seien sie nicht sicher, ob sie den richtigen Platz zum wachsen erwählt hätten, einen Rahmen.

Die Form ist nicht kompliziert. Der Rahmen eines Bildes, so denkt Oswald, hat unverschnörkelt zu sein. Andernfalls lenkte er den Betrachter zu sehr vom Wesentlichen ab, dem Bild nämlich.
Oswald ist ohnehin der Ansicht, dass zu viele Ablenkungen vom Wesentlichen den Lauf der Welt bestimmen. 

Während er also ein einfaches, aber keinesfalls schmuckloses Quadrat flicht, schweigt Marianne. 
Marianne schweigt in regelmäßigen Abständen. Oswald ist das Schweigen gewöhnt. Obgleich er es anfangs als irritierend empfand, ist es ihm mit der Zeit angenehm geworden. 
In Mariannes Schweigen ertrinken die Geräusche der Welt. Was dann übrig bleibt ist der Wind, der über die Haut streicht und den Wetterhahn auf dem Kirchturm dreht.

Oswald mag die Stille. Er füllt sie mit Gedanken, die er manchmal für sich behält und manchmal bei einer passenden Gelegenheit mit Marianne teilt. 
"Weißt du noch, neulich als wir am Bachlauf saßen, da hast du so schön geschwiegen und ich habe mir gedacht..." sagt er dann, während er den Käse, dessen Namen er sich nicht merken kann, aber den Marianne am liebsten ganz ohne die Zugabe von Brot isst, in eine Schale hobelt und Marianne hebt den Kopf, der ein leichtes Nicken andeutet.

Bei manchen solcher Gelegenheiten stellt sich heraus, dass Oswald versehentlich eine Geschichte erfunden oder zumindest gedacht hat. Von Fröschen, die sich ein Wettspringen über die Seerosenblätter auf einem Teich liefern. Sie heißen Fridolin und Ferdinand. Wobei Ferdinand stets den Kürzeren zieht, weil er einst knapp dem Storch entrann und ihm ob dieser glücklichen Fügung im Unglück eine Verletzung im rechten Schenkel geblieben ist, die seine Sprungweite in erheblichem Maße beeinträchtigt. 

Oder von Clara und Motte, was selbstverständlich ein Spitzname ist, den sich Detlef, denn so lautet Mottes tatsächlicher Name, den ihm seine einfalts- aber nicht lieblose Mutter gegeben hat, ausgesucht hat, die sich unter den Brücken einer Großstadt herumtreiben und ihrem Leben den Anstrich des rebellischen zu geben versuchen, so lange sie jung und noch keine Bänker sind. Motte ist sich übrigens sicher, dass er seinen Spitznamen, den er deshalb als passend empfand, weil er die freie Wahl hatte und weil er den Lichtschein des Feuers an Oktobertagen so sehr liebt, dass er sich hin und wieder vorstellte, hineinzufliegen, würde abgeben müssen, machte er die Ausbildung in einem großen Bankhaus, wie sein Vater es sich für sich selbst wünschte.

Marianne stellte vor einigen Jahren die Frage, woher diese Geschichten kämen. Oswald, der keine Antwort darauf zu geben gewusst hatte und sich selbst niemals als phantasievoll bezeichnen würde, hatte mit den Schultern gezuckt. Sie seien einfach plötzlich da, wenn die Stille so unüberhörbar laut klänge.

Oswald legt den geflochtenen Rahmen auf das an wenigen Stellen durcheinander geratene Gras. Mit vorsichtigen Bewegungen richtet er die platt gedrückten Halme auf, streicht hin und her, bis die Ordnung in dem kleinen von Schilffhalmen umrandeten Raum wieder hergestellt ist. 

"Siehst du", sagt er und nimmt Mariannes Hand, führt ihren Finger sachte über den Rahmen, "das sind die Grenzen eines Königreiches. Dort leben vor allem Fischer, die sich selbst keinen Herrscher gegeben haben und den Frieden untereinander für ein wertvolles Gut halten. Sie streiten nicht, sondern flicken ihre Netze im Schatten der Bäume. Viele von ihnen leben schon seit dem Tag ihrer Geburt in den kleinen Dörfern, die nicht mehr Einwohner zählen, als du Finger an beiden Händen hast." 

Oswald lässt Mariannes Finger durch die Grashalme streifen. Als sie mit der Kuppe des Zeigefingers einen Löwenzahn berührt, sagt Oswald:
"Vorsicht, unter eben diesem Baum hat sich der alte Pappadello niedergelassen, um seinem Enkel das Flicken der Netze beizubringen. Pappadello fehlen die Eck- und verschiedene Backenzähne im Oberkiefer. Er findet das praktisch, denn so hält die Pfeife, trotzdem er spricht. Seinem Enkel, den er nur "Enkel" nennt, zum einen weil der Junge der einzige Enkel ist, den Pappadello hat und zum anderen, weil er sich den Namen des Jungen nicht oder überhaupt einen Namen merken kann, gefällt nicht, dass Pappadello Pfeife raucht, aber er mag den Geruch des Tabaks. Also bittet er seinen Großvater fast nie darum, aufzuhören. Wollen wir sie nicht weiter stören."


Mariannes Hand wandert behutsam das Quadrat ab.
"Einmal im Jahr treffen sie sich und begehen ein ausgelassenes Fest. Drei Tage und drei Nächte versiegt das Bier in ihren Krügen nicht und selbst den Kleinsten ist es gestattet, bis zum Morgen um die Feuer zu tanzen."

Oswald beschreibt mit Mariannes Fingern einen Kreis in der Mitte des Rahmens. 
"Sie feiern in diesen drei Tagen und Nächten nicht weniger als ihre Freiheit und ihr Glück. Die Feuer halten sie warm und an langen Tischen tauschen sie Geschichten wie Neuigkeiten aus. Manches Mal kommt es sogar vor, dass sie Pläne schmieden. So sind im vergangenen Jahr die Schwestern Berta und Elvira aus dem Dorf im obersten Winkel des Königreiches auf die Idee gekommen, sie könnten umziehen. Berta ist von jeher pragmatischer Natur und setzt gemachte Pläne flugs in die Tat um. Am Abend des dritten Tages war es beschlossene Sache. Sie und Elvira würden ihr Dorf gegen ein anderes eintauschen. Da aber so ein Dorf zwei Einwohner zu viel und eines zwei zu wenig haben, wodurch das Gleichgewicht empfindlich gestört würde, entschieden sich zwei Freunde aus dem am südlichsten gelegenen Dorf, die Plätze mit den beiden Schwestern zu tauschen. Von ihren Reisen werden sie in diesem Jahr beim großen Fest berichten. Und wer weiß, vielleicht sind wir beide ja dabei, um zu erfahren wie es ihnen ergangen ist" sagt Oswald und Marianne lächelt, als der Wind den Wetterhahn auf dem Kirchturm dreht.