Dienstag, 26. Juli 2016

Und Abends ein Pfannkuchen mit Hegel

"Noch ein Glas Wein?" frage ich Hegel, als ich die Erdnussbutter über den Tisch reiche. Hegel isst seine Pfannkuchen lieber süß als salzig und am liebsten mit Erdnussbutter bestrichen. Zimt und Zucker dagegen mag er gar nicht.
Einmal wöchentlich, Donnerstags nämlich, essen Hegel und ich Pfannkuchen und trinken Rotwein; die Flasche hat stets ein ansehnliches Etikett. Ansehnlich zu sagen habe ich mir angewöhnt, weil Hegel bei dem Gebrauch des Wortes "hübsch" kleine rote Punkte auf der Nasenspitze bekommt, drei nebeneinander liegende, die sich zwar nicht berühren, aber fürchterlich jucken.
Hegel, den ich heimlich Fridel nenne, weil sein dritter Vorname Friedich lautet, nickt, während er gleichmäßig Erdnussbutter auf seinem Pfannkuchen und dem Rand des Tellers verteilt. Hegel sieht nicht mehr besonders gut und so kann es schon einmal vorkommen, dass er den Rand des Tellers versehentlich für Pfannkuchen hält.
Im Laufe der Wochen ist unser gemeinsames Nachtmahl zu Pfannkuchen und Wein geschrumpft. 
Zu Beginn der Zusammenkünfte war die Tafel reich gedeckt. Neben gerührten Eiern fanden sich Croissants sowie verschieden Käsesorten. Ausschließlich der Orangensaft, welcher bei einem guten Frühstück in einer gesetzten Pension, stets in einer Karaffe zwischen Kaffee und Tee seinen Platz findet, fehlte.
Hegel und ich waren übereingekommen, dass Orangensaft bei einem am Abend eingenommenen Frühstück überhaupt nichts zu suchen habe. 
"Der Säure wegen." hatte Hegel gesagt und sich den Bauch gerieben. 

Es ist der dritte Donnerstag im Juli, über der Stadt färbt der Sommer die Luft in stickige Wolken. Hegel trinkt Wein, dreht aber nicht wie gewöhnlich die Flasche, um sich des ansehnlichen Etiketts zu versichern, sondern wischt über den Bildschirm seines Tablets. In der Bewegung liegt keine Hektik, wohl aber Unzufriedenheit.
"Stimmt etwas nicht?" frage ich. Hegel legt die Stirn in Falten, kneift die Augen derart zusammen, dass sich seine Tränensäckchen protestierend anheben.
"Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen." sagt Hegel und schüttelt den Kopf. 
Hegel verzweifelt regelmäßig an der virtuellen Welt.
"Leg das Internet weg, Hegel." sage ich und zerteile meinen Pfannkuchen in drei verschieden große Dreiecke. 
Hegel hört nicht auf mich. Das tut er nie. 
Unwirsch wischt sein Finger über das Tablet, während die Erdnussbutter auf dem abkühlenden Pfannkuchen zu schwitzen beginnt. 
Hegel schnaubt. Schwitzende Erdnussbutter mag er fast genauso wenig wie Zimt und Zucker.
"Leg das Internet weg." wiederhole ich. 
Die Dämmerung setzt ein, als sich Hegel entschließt, einen Kreis in die Mitte seines Pfannkuchens zu schneiden. Er folgt einem Muster. Sorgfältig arbeitet er sich vom Innersten der Dinge zu ihrem Rand vor. 
Hegels Vorgehen hat Methode. Obwohl er ein Romantiker hätte sein müssen, bestimmt ihn die Vernunft. 
"Die Zusammenhänge zu betrachten, ist unabdingbar." sagt Hegel, schüttelt erneut den verzweifelten Kopf.
"Und nur was vernünftig ist, ist lebensfähig." fährt er fort. Die trüben Augen streifen das Tablet. 
"Das," sagt er und nickt dem Gerät zu, "ist nicht vernünftig."
"Es ist das Internet." sage ich schulterzuckend. 
Oft habe ich den Versuch unternommen, Hegel zu erklären, dass die virtuelle Welt nichts mit Vernunft zu tun haben kann. Hegel hält regelmäßig dagegen, zumeist zwischen dem vierten Pfannkuchen und dem dritten Glas Wein, dass die Vernunft sich nicht aus einer Welt heraushalten könne, geschweige denn dürfe. 
Schließlich, stellt er dann fest, seien Virtualität und Realität symbiotisch miteinander verbunden. Mehr noch trete das Virtuelle über seine Grenzen in das Reale. 
"Es muss dir aber doch einleuchten", sage ich, "dass die Vernunft in nahezu absolutem Widerspruch zu dem emotionalen Gefüge der Menschen steht."
"Emotionalität," schnaubt Hegel verächtlich, "hat keinen Platz in einer Auseinandersetzung." 
"Nun, dann ist ein verächtliches Schnauben nicht sehr diskussionswürdig, nicht wahr?" gebe ich zurück.
Hegel legt die Stirn in Falten und seufzt.

"Gehen wir davon aus", nimmt er erneut Anlauf, "dass jeder vorgebrachte Gedanke, Widerspruch hervor ruft. Nehmen wir weiter an, dass je heftiger eine These vertreten wird, desto größer wird der Widerstand sein."
"Das", unterbreche ich, "ist gemessen an der heutigen Zeit ein wenig tröstlicher Gedanke." 
"Nur insofern, als dass die Menschen verlernen den Austausch zu pflegen, denn entstehen zwei diametral entgegengesetzte Gedanken, was unweigerlich geschieht, braucht es einen dritten Gedanken, der aus beiden Standpunkten das Beste zu bewahren vermag und die Spannung so auflöst." 
Hegel lehnt sich zufrieden zurück, nippt an seinem Weinglas, nickt sich selbst zu.
"Was aber", wende ich ein, "wenn einer der beiden Gedanken nichts, wirklich nichts, Gutes an sich hat? Oder was aber, wenn wir nicht zu erkennen vermögen, was vernünftig ist?"
"Dann muss die Geschichte zeigen, was das Vernünftige ist." sagt Hegel, überzeugt die Fragestellung zufriedenstellend beantwortet zu haben.
"In der Geschichte finden sich mannigfaltig Beispiele für die Unvernunft der Menschen, meinst du nicht?" 
Hegel kratzt mit dem Messer die Erdnussbutter vom Rand seines Tellers.
"Durchaus." gibt er zu. "Und doch hat das Unvernünftige keinen Bestand."
"Es sind also Phasen, die wir ertragen müssen?" vergewissere ich mich.
Hegel schüttelt den Kopf.
"Es ist simpel." sagt er. 
Hegel zerlegt die Welt gern in simple Theorie.
"So?" wundere ich mich.
"Ist eine Situation dem Anschein nach verfahren, so muss sich eine Veränderung einstellen. Mir den Kopf an der Frage zu zerbrechen, ob eine solche Veränderung positiv oder negativ zu beurteilen ist, ist meine Sache nicht."
Hegel leert sein Glas in einem Zug, erhebt sich schwerfällig. 
"Packst du mir noch einen Pfannkuchen für die Busfahrt ein?" fragt er und lässt mich verwundert unter der gedimmten Deckenlampe stehen.




Dienstag, 12. Juli 2016

Der Holztisch

Albert sitzt an einem Tisch, der ihm ebenso wenig gefällt wie sein Name. 
Seit 53 Jahren und 11 Monaten leidet Albert. Nicht an dem Tisch, welcher nicht länger als 2 Jahre und 4 Wochen in der viel zu kleinen Küche Platz gefunden hat. Die Küche ist schlauchförmig. Daher passt ein runder Tisch, selbst ein hölzerner, nicht hinein. Sondern unter seinem Namen. Albert. Als sei er albern. Er ist ein äußerst ernsthafter Mensch. 
Da seinen Eltern darauf bestanden, dass er den Familienbetrieb übernähme, eine Metzgerei, die Metzgerei Altmann, musste er zwar auf das Universitätsstudium verzichten, bildet sich jedoch fleißig fort. Zumindest liest er regelmäßig, nämlich wöchentlich, eine Zeitung. Albert Altmann findet es unnötig, die Tageszeitungen zu bemühen, wenn es doch Wochenzeitungen gibt. Information überlebt sich nicht und die Gesellschaft wandelt sich derart langsam, dass es auf das Tagesgeschehen wahrlich nicht ankommt. 
So sieht Albert Altmann die Welt von seinem ungeliebten Tisch aus. 
An diesem Morgen, da er in der Küche sitzt, die Wochenzeitung noch unberührt neben seinem Teller liegt, köpft Albert Altmann sein Frühstücksei. 
Er köpft seine Frühstückseier stets. Es seien schließlich Eier und keine Trommeln, weswegen nicht einzusehen sei, die Schale mit dem Löffel anzuschlagen, pflegt er zu sagen und fügt beiläufig hinzu, außerdem sei es nur recht und billig, was ein Tier hätte werden können auch zu köpfen, wollte man es verzehren.
Albert Altmann fügt gerne beiläufig Nachsätze hinzu, die seine Zuhörerschaft angemessen schockiert zurücklassen. Das liegt daran, dass er sich mit aller Macht gegen die Albernheit seines Namens zu wehren versucht. Dass sein Name im Gegenteil die Bedeutung "vornehm" oder auch "glänzend" hat, ist ihm, dem ernsthaften Herrn Altmann, bisher entgangen. Zu beschäftigt ist er, die Wochenzeitung zu lesen. Und schließlich wurde ihm das höhere Studium verwehrt.
An diesem Morgen, den seine Frau als warm beschreibt, köpft Albert Altmann sein Frühstücksei und verdreht die Augen.
"Isabelle", sagt er, während er mitleidig den Kopf schüttelt, "wie sollte ein Morgen im August denn auch nicht warm sein? Der August ist ein Sommermonat. Da sind die Morgende und Abende warm. Am Nachmittag wird es sogar heiß werden. Es ist eben August." 
Albert seufzt tief, rückt das schmale Brillengestell, welches nicht zu seinem grobschlächtigen Gesicht passen möchte, zurecht und greift nach der Wochenzeitung.
Auf dem Tischtuch versammeln sich Brotkrümel.
Alberts Gesichtszüge waren früher genauso wenig grobschlächtig wie sein Wesen.
Der junge Albert Altmann trug Fliege und lud Isabelle zu Tanzveranstaltungen ein. Blickt sie auf die Fotografien, erfasst sie für gewöhnlich eine durchdringende Wehmut. Das Gewöhnliche steht ihr und so lässt sie es bei einem kurzen Moment bewenden. Heute, an diesem warmen Morgen im August, einem Sommermonat, liegen nicht nur ihre sonst sorgsam zu einem Knoten geschlungen Haare glatt über den Schultern, sondern die Dinge anders.
Isabelle ist bereit einen Versuch, von dem sie weiß, es wird der letzte sein, zu unternehmen.
"Albert", sagt sie fast ein wenig zu leise, als hoffe sie doch, er möge sie nicht hören, "ich unternehme eine Reise."
Die Wochenzeitung in den inzwischen druckergeschwärzten Metzgershänden knistert.
Albert Altmann hebt langsam den Kopf, betrachtet seine Frau ausführlich über den Rand seiner Brille.
Seine Antwort ist kurz, ein Widerspruch undenkbar. Isabelle widerspricht ihm seit 34 Jahren und 1 Woche nicht. 
"Nein."
Durch das Küchenfenster weht ein vorwitziger Sommerwind herein. Die versammelten Krümel tanzen auf dem Tischtuch.
Albert verabscheut den hölzernen Tisch so sehr, dass er auf einem Tischtuch besteht. 
Das Tuch hat weiß und gebügelt zu sein.
Firlefanz wie einen Spitzenbesatz verbittet er sich.
Seine Frau wankt nicht. Lange hat sie über diesen Schritt, der ihr als einziger möglich scheint, nachgedacht. 
"Ich unternehme eine Reise." sagt Isabelle und fügt, ganz nach Alberts Manier beiläufig hinzu "wie lange ich fort sein werde, weiß ich nicht."
Albert Altmanns Gesicht wechselt die Farbe. Feine Adern auf den Wangen röten die Haut zwischen den großen Poren. Die Wochenzeitung fällt zu Boden. 
Ungläubig blickt er seine Frau an, wie sie dort steht, die Arme vor der Brust verschränkt, als wäre ihr kühl. 
"Du kannst keine Reise unternehmen. Wo willst du denn auch hin?" stößt Albert durch gefletschte Zähne hervor. 
Die Küchenuhr schlägt einen ungewohnten Rhythmus, während Isabelle das Geschirr zur Spüle trägt. 
In ihrem Rücken spürt sie die massige Gestalt ihres Mannes. 
"Zunächst fahre ich aus der Stadt. Das halte ich für einen guten Anfang. Jede Reise beginnt mit einem Anfang. Das Ziel dagegen steht noch nicht fest."
Die Worte fallen langsam in den Siphon. Auf Albert Altmanns rechter Wange, knapp unter dem Auge, platzt unauffällig eine Ader. 
"Ausgeschlossen." sagt er, lehnt den Oberkörper an der Rundung des Tisches vorbei nach vorne und hebt die Wochenzeitung vom Boden auf. 
"Absolut ausgeschlossen." 
Im Takt der Küchenuhr vollführt Isabelle eine bedächtige Drehung, der es unter anderen Umständen nicht an Eleganz gefehlt hätte.
Ihren Blick heftet sie auf die Schlagzeilen des Feuilleton. 
"Ich unternehme eine Reise. Auf unbestimmte Zeit. Denn, Albert, du bist mir, was dieser hölzerne Tisch dir ist. Nur kann ich dich nicht mit einem weißen und gebügelten Tuch verdecken." sagt Isabelle mit einer für sie ungewöhnlichen Gelassenheit.
Dann geht sie und lässt einen angemessen schockierten Albert Altmann an seinem ungeliebten Tisch zurück.



Montag, 4. Juli 2016

Herr Habel schreit

Als am 14. März 1969 Josef Bachmann zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt  wird, ist Frank Habel gerade ein paar Stunden alt und brüllt ungehindert die Säuglingsstation des St. Anna Hospitals in Herne nieder, während seine Mutter mit unerkannten, wie schweren postnatalen Depressionen kämpft.
Frank wächst in dem Bewusstsein auf, dass Schreien ihm nichts weiter einbringt als eine "Auszeit" im Keller oder einen hochroten Kopf oder beides. Also lässt Frank das Schreien und sich empören schon sehr früh. 
Als er im Alter von elf oder zwölf Jahren ist, zuckt er nicht einmal mehr resigniert mit den Schultern, wenn sein Großvater, den jeder, selbst der Postbote, "Oppa" nennt sagt: "Dein Geburtstag, Frank das ist der Tag, an dem sie den Dutschke-Attentäter weggesperrt haben." Oppa, weshalb Frank sich daran stört, dass der alte Mann mit der Pfeife im rechten Mundwinkel eben so genannt wird und nicht Großvater, Herr Habel oder Gustav, spricht reines Hochdeutsch, wie es sonst nur in Hannover zu hören ist. 
Aber weil Herne im Pott liegt, sagen die Menschen hier Oppa zu Gustav Habel. 
Frank schreit deswegen nicht auf. Er würde ja höchstens einen roten Kopf bekommen.
Stattdessen spielt er Fangen und Verstecken, wie normale Jungs in seinem Alter das eben so tun.
Er starrt verstohlen durch das Loch in der dünnen Wand der Turnhallenumkleidekabine, das Torsten dort hinein gebohrt hat, hinüber zu den Mädchen.
Auf den Anblick eines Busenansatzes wartet Frank vergeblich und als ihn in einem Spätsommer, gleich nach den großen Ferien, die Rektorin und Sportlehrerin der Gesamtschule an den Ohren aus der Umkleidekabine der Turnhalle zerrt, schreit Frank zwar nicht, beschließt aber den Kopf von nun an besser gesenkt und sich von Torsten fern zu halten. 
Frank bedauert das ein wenig, weil Torsten sein einziger und damit zwangsläufig bester Freund ist, abgesehen von dem altersschwachen Pudel der Familie Habel, den Frank heimlich in seinem Bett schlafen lässt.
Als am 8. Juni 1986 die Polizei den Hamburger Kessel schließt, sitzt Frank am Rhein-Herne-Kanal und hört Sabine, die von allen Sapse gerufen wird, obwohl sie das nicht ausstehen kann, zu, wie sie davon spricht, dass sie eben nicht Sapse gerufen werden will und dass nichts auf der Welt mehr Bedeutung hat als der Respekt für einander.
Frank kann sich nicht daran erinnern, wie er Sabine, die er still und wenn er für sich ist Biene nennt, davon überzeugt hat, mit ihm am Kanal zu sitzen. 
Er mag, wie ihre Stimme klingt und dass sie ihn nicht auf sein ungewaschenes Haar oder sein pusteliges Gesicht anspricht. Und während Sabine von Respekt spricht, fängt es zu regnen an. Frank zieht aus seiner Umhängetasche, für die ihn alle anderen stets verlachen, die er aber praktisch findet, einen Regenschirm und sagt: "Hast du gewusst, dass unsere Vornamen 1969 auf Platz fünf der beliebtesten Vornamen in Deutschland waren?" 
Im selben Moment kommt er sich ganz besonders dumm vor und das bisschen aknefreie Haut gleicht sich dem Rotton der Pusteln an, aber Sabine drückt seine Hand und sagt ganz leise in Richtung des Kanals: "Du bist komisch. Aber süß."
Da weiß Frank, 17-jährig am Kanal sitzend, dass er verliebt ist und Sabine heiraten wird. 
Seine Haut bessert sich je älter er wird und an einem lauwarmen Tag im Frühling, steckt Frank einen Ring in eine Kugel Vanilleeis, weil das Sabines, die er jetzt auch laut Biene nennt, liebstes Eis ist, bevor er sie von Zuhause abholt.
Das Eis ist fast geschmolzen, Sabine steht schon ungeduldig im Vorgarten ihres Elternhauses.
Frank streckt ihr das Eis entgegen, in dem der schmale Ring schwimmt und sagt: "Verschluck dich nicht."
Dann kramt er allen Mut aus der Hemdtasche und fragt: "Willst du mich heiraten?"
Sabine, die sich einen Heiratsantrag vielleicht etwas romantischer oder geplanter vorgestellt hätte, findet ein Picknick am Kanal wäre nett gewesen, gefällt der Ring, der in dem fast geschmolzenen Eis schwimmt. Deshalb sagt sie: "Du bist komisch. Aber süß. Ja." 
Frank wirbelt sie durch den Vorgarten, zertritt aus Versehen und Freude einige gelbe Stiefmütterchen und schreit mit hochrotem Kopf: "Sie hat 'Ja' gesagt." obwohl ihn außer Sabine niemand hören kann.
An diesem Tag, als Sabine "Ja" sagt, ist Frank 21 Jahre alt, bestimmt ihn das Gefühl, er habe sein ganzes Leben noch vor sich und erklärt Estland sich zur Republik.
Frank denkt nicht viel über politische Zusammenhänge oder die Hochzeitsplanung nach. 
Als Sabine ihm die Kosten vorrechnet, mit dem Vermerk, sie habe versucht, es günstig zu halten, schreit Frank nicht, sondern nimmt einen Kredit auf. 
Franks Mutter, die sich nie von ihren unbemerkten wie schweren postnatalen Depressionen erholt hat, zieht sich ihr bestes weißes Kleid an und obwohl weder der alte Pudel der Familie Habel noch Oppa das Fest erleben, wird sich Frank in den kommenden Monaten, wenn er die Raten für den Kredit begleicht gerne an seine Hochzeit erinnern.
Die jungen Eheleute Habel-Tal, denn Sabine besteht entschieden auf einen Doppelnamen, der Gleichberechtigung und des Respekts wegen, ziehen in ein schmuckes Reihenhaus, das genug Platz für ein Kinderzimmer hat.
Während der Osten und der Westen Deutschlands versuchen zueinander zu finden, beginnt Frank seinen Beruf zu hassen, der ihm zwar gutes Geld einbringt und die Raten zahlt, bei dem ihm aber jede Anerkennung verwehrt bleibt.
Als im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen Asylbewerberheime brennen, klatscht Frank innerlich Beifall. 
Er ist seit zwei Jahren verheiratet, trägt das Haar noch immer ungewaschen und Sabine weigert sich hartnäckig schwanger zu werden. 
Anstatt abends in das gepflegte Reihenhaus zurückzukehren macht Frank häufiger Umwege über die nächstgelegene Kneipe. Ein Bier und ein Schnaps schaden nicht, denkt er sich.
Betritt er mit auf Stunden ausgedehnte Verspätung die Diele des dunklen Hauses, schaltet Sabine im Schlafzimmer das Licht an und sagt durch eine geschlossene Tür: "Wenn du wieder saufen warst, kannst du gleich draußen bleiben."
Frank verstaut die Wut über die Ungerechtigkeit in der Hemdtasche, legt sich auf die unbequeme Ledercouch, deckt sich mit einer kratzigen Wolldecke zu und verflucht den Tag am Kanal, als Sabine seine Hand drückte.
Sie findet ihn, das weiß er genau, inzwischen längst nicht mehr süß. 
Als am 9. September 2001 Flugzeuge in das World Trade Center fliegen, sagt der dicke Geschäftsführer:
"Herr Habel, Sie sind zwar schon lange ein Teil unseres Unternehmens und es tut mir wirklich leid, glauben Sie mir, aber Sie sind nicht mehr tragbar." 
Vor Anstrengung das Zittern seiner Hände zu unterdrücken, gerät Frank heftig ins Schwitzen. 
Er steht auf der Straße mit seinen 32 Lebensjahren, deren Bilanz eine Kündigung und eine zerrüttet Ehe nebst Säuferleber sind.
Die Schuld daran, das weiß Frank ganz genau, trägt irgendjemand, nur nicht er.
Er hat stets den Kopf gesenkt, seine Steuern stets pünktlich bezahlt und dennoch will ihm das Leben nichts gönnen.
Ein paar Stunden trottet er durch die Straßen, bis er nach Hause geht. 
Sabine sitzt in der Küche und raucht. Vor Jahren hat er sie gebeten, das Rauchen aufzugeben oder wenigstens nicht im Haus eine Zigarette nach der anderen anzustecken. Sabine, die Respekt so viel Bedeutung beimisst, hat ihn jedoch schlicht überhört.
Er betritt die Diele, seine Nase saugt den unangenehm beißenden Qualm ein.
"Mir wurde gekündigt." sagt Frank tonlos, in der Erwartung, sie käme aus der Küche gelaufen, nähme ihn in die Arme oder drückte wenigstens seine Hand.
Stattdessen raucht Sabine und sagt: "Ich verlasse dich."
Die Koffer stehen bereits gepackt im hinteren Teil der Diele, das sieht Frank jetzt.
Sabine lässt nichts weiter zurück als einige abgenutzte Möbel und einen Scherbenhaufen Erinnerungen, die Frank gerne genauso abstreifen würde wie den Doppelnamen.
Da sich Erinnerungen nicht abstreifen lassen, ertränkt Frank sie in weniger Bier und mehr Schnaps. 
Die Tage kriechen dahin und werden zu Jahren. Frank bezieht staatliche Hilfen, die ihm kaum ausreichen, um den gewohnten Lebensstandard zu halten.
Sein ungewaschenes Haar beginnt grau zu werden, als am 20. Oktober 2014 zum ersten Mal Pegida durch Dresden marschiert.
So wie schon Jahre zuvor als in Rostock-Lichtenhagen Häuser brannten, applaudiert Frank diesem Bachmann innerlich. 
Er entdeckt das Internet für sich und hebt den müden Blick. Endlich hat er einen Schuldigen gefunden.
Sabine ist inzwischen glückliche Mutter zweier Kinder, deren Vater aus Ghana stammt.

Frank schleicht manchmal um das Haus, in dem sie leben, späht durch die halb geöffneten Vorhänge und stellt sich vor, wie Sabine die Hand des Mannes drückt, während sie sagt: "Du bist komisch. Aber süß."
Und obwohl im das Brüllen nichts eingebracht hat als eine "Auszeit" im Keller oder einen roten Kopf, beginnt Frank zu schreien. Er schreit ungehemmt in die Welt.
Jeden Tag steht er pünktlich um 8 Uhr 45 auf, schaltet seinen Computer an und kommentiert, teilt, bloggt noch vor dem ersten Kaffee hasserfüllt und hingebungsvoll.
Frank hat neun verschiedene Online-Profile, unterhält zwei eigene Blogs und weiß sich in den sozialen Netzwerken zu bewegen.
Sein Arbeitstag dauert bis 16 Uhr 30, inklusive einer Mittagspause von einer halben Stunde.
Als am 14. März 2016 Pegida der AFD zu ihrem Wahlsieg gratuliert, marschiert Frank selig in der Mitte der Patrioten. Er ist 47 Jahre alt und hat endlich das Gefühl, angekommen zu sein.