Mittwoch, 23. November 2016

Ihr Kinderlein kommet - mir nicht zu nah

Halten Sie mich nicht für einen Menschenfeind. Ich buche meinen Urlaub wirklich nicht in den Misantropen. 
Ich bin Stadtmensch. Das luftige Leben auf dem Lande, in einem Holzhäuschen mit Reetdach hat so viel Schöner-Wohnen-Romantik, dass ich kaum zu atmen wage, geschweige denn mich auch nur in Gedanken traue, ohne farblich abgestimmten Untersetzer, ein Glas auf dem Wohnzimmertisch abzustellen. 
Jedoch und das gebe ich ungern, aber unumwunden zu, gibt es eine Zeit im Jahr zu der ich mich aus dem Jahrmarkt-heiteren Trubel der kapitalistischen Großstädte fort sehne. 
Gerade reckt sich mein vorwitziger Zeigefinger in den Himmel, nach Hause telefonieren, und zeitgleich suchen meine Augen denselben nach fremden Galaxien, links hinter der Milchstraße oder am Ende des Universums ab, wo es bestimmt ein tolles Restaurant gibt, ein ruhiges vielleicht ebenfalls.
Stattdessen aber sehe ich nichts weiter als ein in orange-rosé getünchtes Himmelszelt, was angeblich ein Zeichen dafür sein soll, dass irgendwo Engel Kekse backen.

Haben Sie mal versucht dem großstädtischen Weihnachtswahnsinn zu entkommen? Mission Impossible, glauben Sie mir.
Es ist November und ich bin auf der Flucht. Call me Dr. Kimble. 

Ich fliehe vor Wham und vor "All I want for Christmas is you".
Vor lauter Angst, die Carey könnte mir eine rote Schleife, aus Satin womöglich, um den Hals binden, hetze ich durch die Vorweihnachtszeit. 
Die schönste des Jahres, soll es sein. Um die Straßenlaternen, von denen bevorzugt in besonders dunklen Gegenden nur jede fünfte funktionsfähig ist, winden sich lebensechte Plastiknadeln. Oh, Straßenlaterne, oh Tannenbaum. Es grünt so grün - halt, stop! Falsche Jahreszeit. 
Zwischen den golden schimmernden Leuchtmitteln, die inzwischen ganze Hausfassaden bedecken, fast als wären sie Efeu, klettert ein lustiger Weihnachtsmann - hohoho - vom vierten in den fünften Stock.
Vor meinem inneren Auge sehe ich automatisch Bruce Willis bei dem Versuch auf dem Rücken des Weihnachtsmannes einen weltvernichtenden Schurken zur Strecke zu bringen, langsam sterben und Danny Glover rappt dazu "Ich bin zu alt für diesen Scheiß." 
Mein inneres Auge ist per se nicht sehr weihnachtlich gestimmt.

Das mag daran liegen, that I'm not driving home for Christmas either, obwohl es damals, als die Kinderaugen noch leuchteten und ich jedes Jahr aufs Neue hätte schwören können, Santa Clause - bevor ein politisch nicht korrekter Getränke-Magnat eine absurdere Kunstfigur aus dem Mann vom Nordpol machte, als Tim Allen es je gekonnt haben würde - sei an unserem Haus vorbeigerauscht, ein schöne Bescherung war.
Die Aussicht allerdings zwischen Weihnachtshektikern und Weihnachtsphobikern, deren jährliches Zusammentreffen etwas von flirting with disaster hat, deren Jagd nach dem letzten und überteuerten Tannenbaum von Erfolg gekrönt war, aber nur um das Prachtstück nicht fest genug auf das Autodach zu binden, so dass die A7 spätestens um 12 Uhr 30 am 23. Dezember für mehrere Stunden voll gesperrt werden muss, auch nur in derselben Zeitzone zu verweilen, beschert mir schlimmere Alpträume als sie sich Rosemaries Baby ausdenken könnte.

Während die Stadt sich also schmückt, Außentemperaturen zwischen 10 und 15 Grad mehr von Herbst und Erntedank künden als von Schneemännern und Glühwein, eröffnen unerschrocken allerorten Weihnachtsmärkte. Zwischen den den Buden und der Glühwein-geschwängerten Luft sammeln sich Menschentrauben, diesen verzückt-entrückt-glasierten Ausdruck im Gesicht, als wären sie kandierte Äpfel. 
Derweil ducke ich mich im Supermarkt gerade noch rechtzeitig hinter eine Wand aus Spekulatius, um kampflustigen Zimtsternen zu entgehen. Zimtsterne sind die wahren Namensgeber für George Lukas Todesstern.
Ich widerstehe der Versuchung, einen Panic Room aus Adventskalendern zu bauen und weiche in letzter Sekunde den lockenden Christbaumkugeln aus. Wie schön sich alles darin spiegel -lein, Spieglein an der Wand - sieh da nicht hin! 
Ein Spießrutenlauf um rotnasige Rentiere und Mistelzweige herum - hohoho, catch me if you can.

So unauffällig wie möglich schlängele ich mich durch Lametta-Tentakel, an der Armee der Finsternis aus Geschenkpapierrollen vorbei. 
Aus den hell erleuchteten Geschäften strömen Menschen, bepackt mit Tüten und Tand. 
Gerade erst hat mir eine aufdringliche Werbung einreden wollen, ein Wassersprudler sei das (!) perfekte Weihnachtsgeschenk. Natürlich. Für Mutti ein Sprudelgerät und Vati bekommt dieses Jahr etwas Ausgefallens statt der üblichen Socken: Weihnachtsbier. Gleich einen ganzen Kasten. 

Kling, Glöckchen, Klinge-linge-beutel. Für die Bedürftigen ist in der beginnenden schönsten Zeit des Jahres nichts übrig; wir haben längst vergessen oder nie wirklich gewusst, worum es in der Weihnachtszeit geht.
Besinnlich und langsam zerbröselt mein zartbitteres Lebkuchenherz in der Vorweihnachtszeit. 

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