Montag, 21. November 2016

Liebe, Sex, Internet und AFD

Finden Sie auch, dass die Welt aus den Fugen gerät? Überall ist von Untergang zu lesen. Selbst Zweckoptimisten beschleicht das Gefühl, der blaue Planet tanzt ein bisschen zu ausgelassen am Rande eines Vulkans. Als hielte sich die Erde für stärker als Pompeji.
Besonders im Internet ist die Auflösung jeglicher Ordnung erstens praktisch schon beschlossene Sache und zweitens nicht mehr aufzuhalten. 

Trump, die Afd, Ausnahmezustände in Frankreich und lassen Sie uns bitte nicht über Kinderarbeit oder Primark sprechen. Den Mantel des tiefen wie dumpfen Schweigens möchte ich außerdem über Essgewohnheiten hüllen – leben Sie vegan?
Ich verbringe durchschnittlich viel Zeit im Internet, überdurchschnittlich viel davon in sozialen Netzwerken. Neulich aber bin ich auf der Datenautobahn zwischen dem fünften Twitteraccount und der dritten als Eilmeldung verkleideten Schlagzeile – ist Ihnen das auch schon aufgefallen? Alles eilt dieser Tage – falsch oder eben genau richtig abgebogen.

Wo ich gelandet bin? Im Internet der Dinge. Kennen Sie? Mir war es neu, neues Land, wenn Sie so wollen. Und ich kann Ihnen versichern, ich bin begeistert.
Das Internet der Dinge ist ein friedlicher Ort. Ein happy place – weil niemand, auch ich nicht ohne naice Anglizismen auskommt.
Dort hören Sie nichts vom Populismus der AfD, deren sächsische Fraktion gerade mal wieder von sich reden macht, weil Vibratoren jetzt auch lautlos können. Das ist ein Problem und zwar deswegen, weil lautlose, also insbesondere lautlose, Vibratoren die Lust am Kinder kriegen zerstören. Die Gesellschaft wird aussterben, weil es lautlose Vibratoren gibt. 

Davon aber hört man im Internet der Dinge nichts. Stattdessen findet sich dort ein Vibrator, der – und ich bin nicht sicher wie Sachsens oder überhaupt eine AfD das fände – verschiedenes speichert. Häufigkeit wie Dauer der Nutzung, die verwendeten Vibes und sogar ermöglicht eigene Vibes zu erstellen und die mit anderen Nutzern zu teilen.

Per App und Bluetooth verbindet sich das Gerät mit dem WWW, um den ganzen schönen Datenstrauß hochzuladen. 
Warum man, frau, mensch das braucht? Fragen Sie mich nicht, aber ist das nicht toll? Hegten Sie nicht auch schon längst den Wunsch, die Nutzung Ihrer Toys mit anderen teilen zu wollen? Vielleicht sogar eine Competition daraus zu machen?
„Schatz, die Müllers von nebenan haben diesen Monat dreimal häufiger vibriert als wir.“
You’re the King and Queen of Vibration. Kudos. Sex up your life. Das ist Ansporn.
Im Internet der Dinge ist aber auch für Romantik Platz. Reichlich sogar. 

Nun ist der Valentinstag noch eine kleine Weile hin und – sofern Sie zu den Zynikern gehören – ohnehin eine Erfindung der Süßwaren-, Blumen- und Kartenindustrie, aber die Geschenkideen aus dem Internet der Dinge lassen selbst den schärfsten Kritiker schmelzen. 
Stellen Sie sich vor, es gibt Ringe, die den Herzschlag Ihres Partners übertragen. Stimmungsringe waren gestern; vergessen Sie die hippiesken Farbwechsler.

Stecken Sie Ihrem Lieblingsmenschen – ist Ihnen das auch schon aufgefallen? Lieblingsmenschen hat dieser Tage fast jeder, ein bisschen als wären Sie Haustiere – einen Ring an den Finger, der per App und Bluetooth, wie denn auch sonst, Ihren Herzschlag überträgt.
Flippen Sie aber nicht gleich aus, wenn Sie auf den Ring patschen, denn das müssen Sie, um den Herzschlag des Anderen, nun romantisch ist anderes, anzufordern und nichts passiert. Voraussetzung für diese Verbindung ist, dass auch der Andere seinen Ring an die App gekoppelt und eine, bestenfalls stabile, Datenverbindung hat. 

„I just called to say I love you“ hat ausgedient. Heute heißt es “I just tappt to hear your heart beat.” Und alle so “Awwwww”.
Schnucklige Idee und für Frischverliebte, die sich nicht voneinander trennen wollen, nicht mal für fünfeinhalb Sekunden, ein Must-Have.
Meinen Sie nicht auch? Ein Ring, sie zu knechten, alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden – ach, nun kommen Sie schon, seien Sie mal ein bisschen aufgeschlossen. 
Denn das Internet der Dinge bietet noch mehr. Ein reines Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen, spricht des Volkes Mund so weise. 
Das oder etwas ähnliches müssen sich die Macher eines Kissens mit dem Namen „Pillow Talk“ gedacht haben. 

Diese Kissen nämlich leuchten auf, wenn sich der Andere ins Bett legt. Doch, ehrlich.
Fernbeziehung mit Nachtlicht. Zu den Kissen gehört auch ein Ring – das zieht sich thematisch durch, merken Sie – der natürlich den Herzschlag des Anderen überträgt. Bluetooth auch hier das Zauberwort. Und schwupps schlafen Sie zu den Herztönen Ihres Long Distance Lovers ein. Schön. 

Hier, das muss ich zugeben blieb ich etwas verwirrt an meinem neuen Happy Place zurück.
Pillow Talk kenne ich nur als Film mit Doris Day und Rock Hudson, heißt übersetzt „Bettgeflüster“, was mit Herzschlägen nur am Rande und mehr mit Erregung als Schlafen zu tun haben sollte, wenn Sie mich fragen.
Vielleicht fragen Sie mich besser nicht. Ich schlafe zu den Drei Fragezeichen ein und das sehr gut.
Ungeachtet dessen sah ich mich aber weiter um.
Und fand mein persönliches Muss-ich-haben-will-ich-brauch-ich-Gadget: Eine Weinflasche.
Sie fragen zurecht, was eine Weinflasche im Internet der Dinge zu suchen hat. Ich will es Ihnen gerne erklären. Diese wahnsinnige Gerät sorgt dafür, dass Ihr Wein nie, nie, nie wieder oder wenigstens für die Dauer von 30 Tagen nicht schal oder schlecht wird, auch wenn Sie nur ein Gläschen naschen möchten und die Flasche dann tagelang stehen lassen. Ein Lebenshelfer frei nach Harald Juhnkes Philosophie: Die Vorstellung von Glück – keine Termine und leicht einen sitzen.
Damit Sie auch immer wissen, was Sie trinken oder direkt nachbestellen können, ist dieses Weinflaschen-Gehäuse, in das Sie faktisch mit Wein gefüllte Thermoskannen, die luftdicht abschließen, stecken, mit einem LCD-Bildschirm und Wifi ausgestattet.
Ich hab’s Ihnen gesagt: Ein Knaller!

Vergessen Sie Kühlschränke, die in vorauseilendem Gehorsam Sojamilch ordern, Heizungen, die sich mittels App regulieren lassen und Beleuchtung, die aus der Ferne steuerbar ist. Wein in Thermoskannen – das ist der heiße Shit.

Und wenn Sie schon beim Vergessen sind, machen Sie es wie ich: 

Trinken Sie ein Glas auf die Welt, ihre Zustände, tanzen Sie ausgelassen am Rande des Vulkans, vor allem aber heben Sie Ihr Glas mit 30 Tage altem Wein auf die Happy Places und den Nonsense, denn ich glaube, so lange Menschen über lautlose oder App-gesteuerte Vibratoren wie Herz schlagende Kissen und Ringe oder Duschköpfe mit integriertem Radio nachdenken, sterben weder wir noch der Humor aus, ganz gleich, was die sächsische oder irgendeine AfD glaubt, wer am roten Knopf sitzt oder ob der nächste Hobby-Nostradamus uns den baldigen Untergang voraussagt.
Finden Sie einen Ort, links ab von der Datenautobahn, der Sie zum Lachen bringt. Das ist schon die halbe Miete, auch so eine weise Redensart. Und gar nicht mal so falsch.

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