Dienstag, 26. Juli 2016

Und Abends ein Pfannkuchen mit Hegel

"Noch ein Glas Wein?" frage ich Hegel, als ich die Erdnussbutter über den Tisch reiche. Hegel isst seine Pfannkuchen lieber süß als salzig und am liebsten mit Erdnussbutter bestrichen. Zimt und Zucker dagegen mag er gar nicht.
Einmal wöchentlich, Donnerstags nämlich, essen Hegel und ich Pfannkuchen und trinken Rotwein; die Flasche hat stets ein ansehnliches Etikett. Ansehnlich zu sagen habe ich mir angewöhnt, weil Hegel bei dem Gebrauch des Wortes "hübsch" kleine rote Punkte auf der Nasenspitze bekommt, drei nebeneinander liegende, die sich zwar nicht berühren, aber fürchterlich jucken.
Hegel, den ich heimlich Fridel nenne, weil sein dritter Vorname Friedich lautet, nickt, während er gleichmäßig Erdnussbutter auf seinem Pfannkuchen und dem Rand des Tellers verteilt. Hegel sieht nicht mehr besonders gut und so kann es schon einmal vorkommen, dass er den Rand des Tellers versehentlich für Pfannkuchen hält.
Im Laufe der Wochen ist unser gemeinsames Nachtmahl zu Pfannkuchen und Wein geschrumpft. 
Zu Beginn der Zusammenkünfte war die Tafel reich gedeckt. Neben gerührten Eiern fanden sich Croissants sowie verschieden Käsesorten. Ausschließlich der Orangensaft, welcher bei einem guten Frühstück in einer gesetzten Pension, stets in einer Karaffe zwischen Kaffee und Tee seinen Platz findet, fehlte.
Hegel und ich waren übereingekommen, dass Orangensaft bei einem am Abend eingenommenen Frühstück überhaupt nichts zu suchen habe. 
"Der Säure wegen." hatte Hegel gesagt und sich den Bauch gerieben. 

Es ist der dritte Donnerstag im Juli, über der Stadt färbt der Sommer die Luft in stickige Wolken. Hegel trinkt Wein, dreht aber nicht wie gewöhnlich die Flasche, um sich des ansehnlichen Etiketts zu versichern, sondern wischt über den Bildschirm seines Tablets. In der Bewegung liegt keine Hektik, wohl aber Unzufriedenheit.
"Stimmt etwas nicht?" frage ich. Hegel legt die Stirn in Falten, kneift die Augen derart zusammen, dass sich seine Tränensäckchen protestierend anheben.
"Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen." sagt Hegel und schüttelt den Kopf. 
Hegel verzweifelt regelmäßig an der virtuellen Welt.
"Leg das Internet weg, Hegel." sage ich und zerteile meinen Pfannkuchen in drei verschieden große Dreiecke. 
Hegel hört nicht auf mich. Das tut er nie. 
Unwirsch wischt sein Finger über das Tablet, während die Erdnussbutter auf dem abkühlenden Pfannkuchen zu schwitzen beginnt. 
Hegel schnaubt. Schwitzende Erdnussbutter mag er fast genauso wenig wie Zimt und Zucker.
"Leg das Internet weg." wiederhole ich. 
Die Dämmerung setzt ein, als sich Hegel entschließt, einen Kreis in die Mitte seines Pfannkuchens zu schneiden. Er folgt einem Muster. Sorgfältig arbeitet er sich vom Innersten der Dinge zu ihrem Rand vor. 
Hegels Vorgehen hat Methode. Obwohl er ein Romantiker hätte sein müssen, bestimmt ihn die Vernunft. 
"Die Zusammenhänge zu betrachten, ist unabdingbar." sagt Hegel, schüttelt erneut den verzweifelten Kopf.
"Und nur was vernünftig ist, ist lebensfähig." fährt er fort. Die trüben Augen streifen das Tablet. 
"Das," sagt er und nickt dem Gerät zu, "ist nicht vernünftig."
"Es ist das Internet." sage ich schulterzuckend. 
Oft habe ich den Versuch unternommen, Hegel zu erklären, dass die virtuelle Welt nichts mit Vernunft zu tun haben kann. Hegel hält regelmäßig dagegen, zumeist zwischen dem vierten Pfannkuchen und dem dritten Glas Wein, dass die Vernunft sich nicht aus einer Welt heraushalten könne, geschweige denn dürfe. 
Schließlich, stellt er dann fest, seien Virtualität und Realität symbiotisch miteinander verbunden. Mehr noch trete das Virtuelle über seine Grenzen in das Reale. 
"Es muss dir aber doch einleuchten", sage ich, "dass die Vernunft in nahezu absolutem Widerspruch zu dem emotionalen Gefüge der Menschen steht."
"Emotionalität," schnaubt Hegel verächtlich, "hat keinen Platz in einer Auseinandersetzung." 
"Nun, dann ist ein verächtliches Schnauben nicht sehr diskussionswürdig, nicht wahr?" gebe ich zurück.
Hegel legt die Stirn in Falten und seufzt.

"Gehen wir davon aus", nimmt er erneut Anlauf, "dass jeder vorgebrachte Gedanke, Widerspruch hervor ruft. Nehmen wir weiter an, dass je heftiger eine These vertreten wird, desto größer wird der Widerstand sein."
"Das", unterbreche ich, "ist gemessen an der heutigen Zeit ein wenig tröstlicher Gedanke." 
"Nur insofern, als dass die Menschen verlernen den Austausch zu pflegen, denn entstehen zwei diametral entgegengesetzte Gedanken, was unweigerlich geschieht, braucht es einen dritten Gedanken, der aus beiden Standpunkten das Beste zu bewahren vermag und die Spannung so auflöst." 
Hegel lehnt sich zufrieden zurück, nippt an seinem Weinglas, nickt sich selbst zu.
"Was aber", wende ich ein, "wenn einer der beiden Gedanken nichts, wirklich nichts, Gutes an sich hat? Oder was aber, wenn wir nicht zu erkennen vermögen, was vernünftig ist?"
"Dann muss die Geschichte zeigen, was das Vernünftige ist." sagt Hegel, überzeugt die Fragestellung zufriedenstellend beantwortet zu haben.
"In der Geschichte finden sich mannigfaltig Beispiele für die Unvernunft der Menschen, meinst du nicht?" 
Hegel kratzt mit dem Messer die Erdnussbutter vom Rand seines Tellers.
"Durchaus." gibt er zu. "Und doch hat das Unvernünftige keinen Bestand."
"Es sind also Phasen, die wir ertragen müssen?" vergewissere ich mich.
Hegel schüttelt den Kopf.
"Es ist simpel." sagt er. 
Hegel zerlegt die Welt gern in simple Theorie.
"So?" wundere ich mich.
"Ist eine Situation dem Anschein nach verfahren, so muss sich eine Veränderung einstellen. Mir den Kopf an der Frage zu zerbrechen, ob eine solche Veränderung positiv oder negativ zu beurteilen ist, ist meine Sache nicht."
Hegel leert sein Glas in einem Zug, erhebt sich schwerfällig. 
"Packst du mir noch einen Pfannkuchen für die Busfahrt ein?" fragt er und lässt mich verwundert unter der gedimmten Deckenlampe stehen.




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