Dienstag, 30. Januar 2018

Aus einem anderen Leben

Meldeadresse: Galaria Kaufhof, erstes Schaufenster links. sagt er und lacht. Ohne Humor hast Du verloren. sagt er und reibt sich die kalten Finger.
Er stammt ursprünglich aus der Gegend um Ingolstadt, lebte 15 Jahre im Nürnburger Raum auf der Straße und nun in Hamburg. 
Wenn er von den Landungsbrücken und den freundlichen Menschen der Hansestadt spricht, werden seine Augen feucht. Das sympathische Gesicht durchzogen von feinen und groben Linien, die ein bewegtes Leben nachzeichnen. 
Aus Nürnberg ist er ganz anderes gewöhnt. Aber hier, in Hamburg, da kümmern sich die Menschen. Ich nehm nur, was ich brauch. sagt er und streicht die Decke über seinen Beinen glatt.
Die Umstände, die zu seinem Leben auf der Straße führten, reißt er nur kurz an. Es ist die Geschichte einer verlorenen Liebe und von Alkohol. Ob er sich heute noch in das gutbürgerliche System einfügen kann – das weiß er nicht genau. 
Sehnsucht hat er. Das klingt leise durch. Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt er, aber sie stirbt. 
Ganz ruhig beschreibt er nächtliche Situationen. Manchmal kommen sie und urinieren auf deinen Schlafsack, wenn du da liegst und schläfst. 
Zusammenhalt auf der Straße, den gibt es. Einen Penner zu beklauen ist das Letzte. sagt er. 

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Sie sitzt mit gekrümmtem Rücken an eine Hauswand gelehnt. Zum Schutz vor Regen und Wind hat sie kleine Schirme um sich herum aufgespannt. 
In sich zurückgezogen spricht sie nicht viel oder gern. 
Ihre Gesichtszüge wirken nicht unfreundlich oder verhärmt, sie tragen die Verletzung nach außen.
Die meisten Menschen hasten an ihr vorbei.
In ihren Händen hält sie einen Wintermantel. 
Ist der geklaut? fragt sie und neigt den Kopf zur Seite. Nein, bestimmt nicht. 
Noch mal prüft sie das Material. Und entscheidet, den Mantel zu behalten. 
Vielleicht deutet sich ein Lächeln um die Mundwinkel an, als sie sehr leise Danke murmelt.

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An einer Kette trägt er das A für Anarchie um den Hals. Seinen Kaffee trinkt er schwarz. 
Willst du mir was schenken? fragt er und nickt den Passanten zu. Er ist guter Laune. 
Freiwillige Entscheidung. sagt er. Er passt nicht ins System. Lieber sitzt er auf den Gehwegplatten am Bahnhof Sternschanze als in einem bürgerlichen Leben. 
Er kommt zurecht. Ist hilfsbereit und freundlich. Plaudert gerne. Die rechte Hand steckt in einer bunten selbstgestrickten Stulpe. 
Die andere habe ich leider verloren. sagt er. 

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