Donnerstag, 19. September 2019

Begegnungen

Wir sitzen auf einer Bank, das Holz ist noch ein bisschen klamm, weil es gestern Nacht geregnet hat.
Seit in paar Minuten malt er mit dem linken Fuß Kreise in den Staub. Und schweigt. 
Die Haut seiner zittrigen Hände ist rissig, im Gesicht klafft ein fünf Zentimeter langer Riss, nur knapp über dem rechten Auge. Die Fingernägel sind zu lang und sammeln den Schmutz als gäbe es sonst nichts weiter für sie zu tun. 
Die Knie sind aufgeschürft, die Hose passt ihm nicht richtig. Doch, doch hatte er gesagt, ich gehe alle zwei Tage ins Krankenhaus, um die Verbände wechseln zu lassen.
Nein, es ginge schon, zum Glück sei er die Krücken los, lehnte er die dargebotene Hand ab, als er sich zu setzen versuchte.
Nicht unweit raufen zwei Jugendliche miteinander, werfen sich erst Beschimpfungen und dann Kieselsteine an den Kopf. 
Vorübereilende sehen ihn nicht an und schütteln mit einem Blick auf mich ihr Haupt.
Wir sind ein ungleiches Paar. 
Er sei gefallen, daher die Verletzungen. Die Bordsteinkante sei ihm im Weg gewesen. 
Das Allein sein bekommt ihm nicht. Jemand stellt ihm wortlos eine leere Pfandflasche vor die Füße. 
Eine Flasche für die Flasche tönt es von der anderen Straßenseite. Ich will aufspringen, er aber sagt Lass nur, das lohnt sich nicht. Und schluckt hart.
Dieses Mal bleibe ich also sitzen. Und der Zorn kocht meine Eingeweide.
Es war nicht immer so. sagt er. 
Das Leben sei normal gewesen, irgendwann. Arbeit, Wohnung, Frau, Pläne, Träume. Ein ganz normales Leben. Er habe sich nicht viel leisten können, aber darauf sei es ihm nie angekommen. 
Das Holz trocknet langsam. Die Feuchtigkeit hat es sich im Gewebe bequem gemacht.
Den Schlafsack habe man ihm geklaut, schon wieder. Auch den Rucksack. Drehst Dich einmal um, gehst nur kurz um die Ecke und schon alles weg. Seine Schultern zucken.
Er hat sich abgefunden. Was bliebe ihm denn auch sonst übrig? 
Das Allein sein bekommt ihm nicht. Jemand wirft wortlos ein paar Cent  in den Becher zu seiner Linken. 
Für einen Gruß reicht es nicht.
Gespräche sind teuer. Sie kosten Zeit und Überwindung. Er weiß das. Ein halbes Jahrzehnt lebt er diese Existenz. 
Ich bin der Rand der Gesellschaft sagt er über sich selbst. Die Stimme bricht. Schweigen fällt ihm leichter. Dabei lacht er gerne. Und hat Humor. Nein, getrunken habe er heute noch nichts. 
Er trägt zwei Jacken übereinander. 32 Grad und kaum Wind. 
Wasser und vielleicht ein Bier? Er habe eine neue Regel sagt er. Morgens keinen Alkohol mehr. 
Er ist freundlich. Und demütig. So sehr, dass es schmerzt. 
14 Jahre Knast. Alles würde er anders machen, hätte er nur die Gelegenheit. Eine Zeitmaschine.
Im Reflex schlug er zu. Der andere habe ein Messer in der Hand gehalten. Sei auf ihn los gegangen. 
Sein Schlag traf den Kehlkopf. Mord. So befand das Gericht.
Er sei auf der Straße seines Lebens falsch abgebogen. Am liebsten liest er Kriminalromane. Die skandinavischen. Deutsche können keine Krimis, guck Dir doch den Tatort an. Sagt er.
Wenn sich das Grinsen in seinem Gesicht breit macht, ziehen sich die Falten um seine Augen zusammen.
Neulich habe er Streit gehabt. Am Pfandautomaten. Die Mitarbeiter des Marktes jagten ihn zur Tür hinaus. 
Weil sich normale Menschen belästigt gefühlt hätten. Nicht Kunden, Menschen. So habe es der Mitarbeiter, der ihn an der Schulter zum Ausgang schob, formuliert. 
Er sei eigentlich immer im Weg. Ein Störfaktor. Da sei es schwer an der eigenen Menschlichkeit festzuhalten.
Der Zorn kocht meine Eingeweide.
Seit ein paar Minuten malt er mit dem linken Fuß Kreise in den Staub. Und schweigt.
Das Allein sein bekommt ihm nicht.
Bis vor ein paar Monaten waren sie zu zweit. Immerhin. Da kann man aufeinander Acht geben. Und die Stille sei leichter zu ertragen. Sie waren Freunde. Aber die Leber seines Freundes hat den Alkohol nicht mehr vertragen. 
Der Freund fehlt ihm. Er möchte niemandem lästigfallen. Mädchen, du musst hier nicht sitzen. Sagt er. 
Und doch, ich bleibe noch ein Weilchen. 
Er liebt den Hafen. Das Wasser habe so eine beruhigende Wirkung und die weit gereisten Containerschiffe versprächen Abenteuer.
Sein Vater sei Säufer gewesen. Sagt er. Prügel standen auf der Tagesordnung. Er spricht leise. Ohne jede Wut.
Lass den Penner doch. Die Worte prallen an der nächsten Hauswand zurück. 
Einfach nur obdachlos sei er, aber kein Penner. Ein Mensch, der keiner sein darf. 
Unsere Begegnungen enden stets auf die gleiche Weise. 
Gib auf Dich Acht. Sage ich. Und er erwidert schlicht: Danke.
Seit ein paar Minuten malt er mit dem linken Fuß Kreise in den Staub. 
Das Allein sein bekommt ihm nicht.

1 Kommentar:

  1. "Gib auf Dich Acht" ist so ein schöner, liebevoller Satz! Hört man viel zu selten.

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